Kegel aus geschmolzenem Koks
Vor 81 Jahren wurde in Stahnsdorf der Grundstein moderner Klärwerkstechnik gelegt
Als vor 100 Jahren der Teltowkanal feierlich eingeweiht wurde, war es nicht das einzige Ereignis, dass die Region ins Licht der Öffentlichkeit rückte. Im gleichen Jahr begann auf dem Stahnsdorfer Lindenberg der Testbetrieb für die damals modernste Kläranlage Deutschlands, die ihr gereinigtes Abwasser in den Teltowkanal ableitete. Erste Versuche auf einer Probeanlage in Wilmersdorf waren zuvor erfolgreich verlaufen. Die biologisch reinigende Tropfkörperanlage, die erste dieser Bauart in Deutschland, sollte zum Aushängeschild deutscher Ingenieursentwicklung werden. Bereits zur feierlichen Einweihung der Kläranlage am 01. September 1906 sorgte diese technische Meisterleistung in den Zeitungen für Schlagzeilen und groß aufgemachten Fotos. Schon allein die ungewöhnlichen Formen dieser Anlage versetzten den Betrachter in Erstaunen, besonders die so genannten Tropfkörper, das Herzstück der Anlage. Das waren mit Schmelzkoks aufgeschichtete Kegel mit einem Durchmesser von 20 m und einer Höhe von 2,50 m. 56 solcher Kegel gab es anfangs, die jeweils aus 758 cbm Koks bestanden. Diese Kegel dienten als Filter, über die das vorgeklärte Abwasser versprüht und nach Passage in den Vorfluter abgeleitet wurde. Erstes Werbematerial in diesem Sinne war eine Postkarte mit der Ansicht der Stahnsdorfer Tropfkörperanlage, die während der Eröffnungsveranstaltung verteilt wurde. Aber schon wenige Wochen später war der Trubel vorbei, die Presse hatte ihre neue Titelstory, den genialen Streich des Hauptmanns von Köpenick.
Das erste Klärwerk in Stahnsdorf jedenfalls brachte auch ohne große Öffentlichkeit hervorragende Reinigungsleistungen. Es musste sogar zwischen 1914 und 1917 aufgrund der Entwicklung der Stadt Berlin um das Doppelte vergrößert werden. Allerdings verlief nicht alles wie geplant. Die Nutzung des gereinigten Abwassers für den Schleusenbetrieb des Teltowkanals war wegen dem zu geringen Zulaufs nicht möglich. Doch es kam noch schlimmer, vor allen nach der Inflation. Aus Kostengründen wurde diese moderne Anlage zwischen 1922 und 1923 abgebaut. Die Abwässer gelangten nun ungereinigt auf die Rieselfelder, die in der Region alternativ angelegt worden waren. Dennoch gelten trotz der relativ kurzen Betriebsdauer der Anlage die hier gesammelten Erfahrungen auch noch heute als wegweisend für bestehende Tropfkörperanlagen. Übrig geblieben von der damaligen Anlage ist heute nur noch das Verwaltungsgebäude am Schenkendorfer Weg, das zu einem privaten Wohnhaus umgebaut wurde.
Vorreiterolle in der Abwasserreinigung
Doch schon zu Beginn der 30er Jahre des vorigen Jahrhunderts sollte Stahnsdorf erneut eine Vorreiterrolle in der technischen Entwicklung der Abwasserreinigung spielen. Von 1929 bis 1931 wurde hier das modernste Klärwerk Europas errichtet, das 1931 seinen Betrieb aufnahm. Bauland war ja bereits vorhanden, Druckrohr- und Abflussleitung der alten Anlage zum Teltowkanal konnten für das neue Projekt genutzt werden. Neue Verfahren in der Baustatik, die in jener Zeit entwickelt wurden, ermöglichten es, von der traditionellen Konstruktion abzuweichen. Nicht nur das dieses moderne Klärwerk vor Ort für eine optimale Abwasserbehandlung sorgte, der Aufbau der Verfahrenstechnik ermöglichte den Test unterschiedlicher Anlagenteile. Dieser gleichzeitige Großversuch vermittelte sehr viele Erfahrungen für späteren Bau von Kläranlagen. Die verschiedenen Anlagenteile, die hier getestet wurden, befanden sich zwar bereits in England und Amerika im Einsatz, das Besondere dieser Anlage war allerdings ihr Parallelbetrieb im neuartigen Belebtschlammverfahren. Ingenieurtechnisch eine Meisterleistung, welche die Stahnsdorfer Kläranlage mit Abstand noch übertreffen sollte. Wieder waren es die Zeitungen, die anfangs euphorisch darüber berichteten und wieder führten politische Veränderungen dazu, dass sehr bald die modernste Kläranlage Europas nur noch von Fachzeitschriften beachtet wurde.
Den nächsten Einschnitt in der Entwicklung von Stahnsdorf bringt der Zweite Weltkrieg. In der Nacht zum 01. September 1943 zerstören englische Bomber das Klärwerk schwer. In der gleichen Nacht stürzte zudem ein deutscher Jäger über dem Gelände ab. Trotz der Schäden wird weiterhin Abwasser gereinigt, aber im April 1945 muss der Betrieb nach starken Schäden durch abziehende Wehrmachtseinheiten für einige Monate eingestellt werden.
Technik entspricht dem neuesten Stand
Nach den Krieg wurde das Werk wieder auf- und ausgebaut. Zu Zeiten der DDR galt das Stahnsdorfer Klärwerk als wichtige Einnahmequelle für Devisen, schließlich musste das West-Berliner Abwasser hier gereinigt werden. Größere bauliche Veränderungen in den 80er Jahren gaben der Anlage das Gesicht der typischen DDR-Betonplattenarchitektur. So finden sich heute neben den denkmalgeschützten Techniktempeln des heranreifenden Maschinenzeitalters Stilelemente aus DDR-Zeiten mit wiederum modernen Bauten der heutigen Zeit kombiniert. Nach zahlreichen Eigentümerwechseln in den 81 Jahren seit seiner Inbetriebnahme gehört das Klärwerk heute zu den Berliner Wasserbetrieben. Verfahrenstechnisch erweitert, wird das Abwasser auch heute noch so gereinigt wie in den Entstehungszeiten dieser Anlage, nach den biologischen Belebtschlammverfahren. Allerdings ist die Technik auf dem neuesten Stand und wird ständig aktualisiert. Bei einer Reinigungsleistung von über 100.000 cbm am Tag in den Anfangsjahren und bis 50.000 cbm in der heutigen Zeit ist die Wassermenge, welche in den über 100 Jahren in den Teltowkanal eingeleitet worden ist, nie errechnet worden.
Ingenieurtechnisch ist der Bau der des Teltowkanals schon ein Jahrhundertwerk seiner Zeit, allerdings haben sich auch die modernste Kläranlage Deutschlands und das modernste Klärwerk Europas ihren Platz in der Technikgeschichte und zahlreichen Publikationen geschaffen.
- hier ein kleiner Einblick meiner Sammlung von weit über 1000 Fotos, Dokumenten und Karten aus der Geschichte der Stahnsdorfer Kläranlage -